Um 18 Uhr gab es lecker Pasta. Die Zeit wollte nicht so recht vergehen - erst 19 Uhr. Also nochmal in die Waagrechte, ich hatte ja eine lange Nacht und einen langen Tag vor mir: 106 Kilometer mit rund 5.100 Höhenmetern warteten auf mich.
Endlich konnte ich gemeinsam mit Tom los. Eine gute Stunde vor dem Start war ich im Startbereich, bepackt mit meinem Laufrucksack und meinem Dropbag, welches später auf der Hälfte der Strecke auf mich wartete. Darin befand sich Wechselwäsche, ein Paar frische Laufschuhe und neue Energiegels und -riegel. Im Laufrucksack selbst befand sich neben der Pflichtausrüstung noch ein zusätzliches Langarmshirt für die Nacht und meine Riegel und Gels zur konstanten Energieversorgung während des Laufs.
Die vielen Menschen, die Musik und das ganze Drumherum sorgten für eine angenehme Anspannung und Vorfreude. Alle hatten ihre Stirnlampen schon einsatzbereit auf dem Kopf. Im offiziellen Startbereich wurden unsere Rucksäcke auf Vollständigkeit der Pflichtausrüstung eingehend kontrolliert: Ersatzlampe oder zweiter Akku, Regenjacke mit mindestens 10 Meter Wassersäule, Erste Hilfe Set, Trinkbehältnisse für 1,5 Liter Flüssigkeit, Ersatz Shirt, Lange Hose, Handy mit gespeicherter Notfallnummer, Faltbecher.
Ich ging bis nach vorne an den Startbogen durch - immer noch 30 Minuten bis zum Start. Die Stimmung war erstaunlicherweise recht entspannt. Im Torbogen sitzend verstrich die Zeit. Endlich: Die Blaskapelle spielte „Highway to Hell“, dann der Countdown und Startschuss für unsere Reise in die Nacht.
Eine für mich ganz neue Erfahrung. Vor zwei Jahren war ich schon mal hier, aber mit Start in den frühen Morgenstunden und einem Lauf in die Nacht. Einen Start am Abend hatte ich bisher noch nicht. Das bereitete mir während meiner Vorbereitungen auf diesen Lauf etwas Sorge. Zu diesem Zeitpunkt machte ich mir deswegen keinen Kopf mehr. Die Stimmung im Startbereich und aus der Stadt hinaus war mega. So viele Menschen, die nur für uns an der Strecke standen, unglaublich! Dann wurde es ruhiger, wir liefen in Richtung Eibsee.
Meine Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit gewöhnt. Schon sehr früh hatte ich eine Gruppe an Läufer*nnen gefunden, die vom Tempo ähnlich schnell unterwegs waren. Es ging über schmale Trails, Forstwege und Steige durch die Nacht.
Alle 30 Minuten erinnerte mich meine Uhr etwas zu essen. Die regelmäßige Zufuhr von Kohlenhydraten während eines Wettkampfs ist wichtig, damit es zu keinem Leistungseinbruch, dem berüchtigten Hungerast, kommt.
Vom Eibsee ging es weiter in Richtung Gamsalm und von dort zur Pestkapelle. An den Verpflegungsstationen gab es Brot, Kuchen, Kekse, Äpfel, Orangen, Bananen und vieles mehr. Natürlich immer genügend Wasser, Cola oder Iso um unsere Flaschen neu zu befüllen. An der Pestkapelle füllte ich meine Flaschen nochmals auf, trank zwei Becher und aß ordentlich vom Läuferbuffet und nahm mir noch einige Salzbrezeln mit auf die lange Strecke über den Wanningsattel auf 2188 Metern.
Bis zur nächsten Verpflegungsstation, der Hämmermoosalm waren es 14 Kilometer mit ca. 1000 Höhenmetern im Aufstieg. Unsere Gruppe lief sehr ökonomisch und im gleichbleibenden Rhythmus. Die Stimmung war gut. Mal unterhielten wir uns, mal schwiegen wir.
Der Schein der Stirnlampen tanzte wie viele, an einer Perlenschnur aufgefädelte, kleine Lichter über die Berge. Der Mond schien und die Sterne funkelten. In den Höhen nahm der Wind zu und wir zogen unsere Jacken und Mützen über. Die Handschuhe hielten wir griffbereit. Im Downhill am höchsten Punkt unserer Tour war Vorsicht geboten, teilweise ausgesetzt und schmierig war dort unser Steig.
Anschließend erwarteten uns die beiden seilversicherten Schneefelder. Teilweise waren sie gut laufbar, meist aber begannen wir zu rutschen und landeten auf unserem Hosenboden. Weiter unten lag zwar kein Schnee mehr, aber das Tauwasser hatte die Wege sehr aufgeweicht. So ging die Rutschpartie munter weiter.
Der letzte Wegabschnitt bis zur Hämmermoosalm auf 1405 Metern war gut laufbar. Es wurde langsam wieder hell, die Nacht verabschiedete sich und der Himmel versprach einen sonnigen Morgen. Leider fing mein Magen an sich zu beschweren, immer wieder krampfte er sich zusammen, nichts was ich an Nahrung dabei hatte fand er gut.
An der Hämmermoosalm gab es zum Glück Salzbrezeln und Cola, beides ging nur in sehr kleinen Mengen - aber besser als nichts. Mit meinem neuen Verpflegungsproviant ging es nun weiter in Richtung Scharnitzjoch. Die Sonne beleuchtete die ersten Berggipfel. Am Scharnitzjoch auf 2088 Metern ließ die Sonne das Grün der Bergwiesen unwirklich grün leuchten.
Es war ein wundervoller Morgen - unglaublich schön. Im Downhill lief ich nun, immer noch mit verstimmten Magen in Richtung Hubertushof. Die Hälfte der Strecke war geschafft. Tom empfing mich dort und half mir aus meinen nassen Klamotten und in die frischen Klamotten rein, meine Flaschen zu füllen und bot mir Verschiedenes zu Essen an. Mein Magen verweigerte alles. Wieder mit Salzbrezeln bestückt und Cola befüllt machte ich mich weiter auf den Weg.
Nun ging es für die nächsten 35 Kilometer an der Leutasch entlang. Wenige steile Höhenmeter, viele laufbare Abschnitte über die Geisterklamm bis nach Mittenwald weiter am Ferchensee vorbei nach Schloss Elmau. Unser Läuferfeld hatte sich stark entzerrt, teilweise war ich allein unterwegs. Ich genoss die Stille der frühen Morgenstunden. Diese Stille wurde am Fuß des Anstiegs zum Kreuzeck mit Musik und freudigen, anfeuernden Rufen, Glocken und Ratschen der Zuschauer angereichert.
Wir waren drei Mädels, die sich den Anstieg nach oben puschten. Im Wechsel spulten wir den schmalen Pfad nach oben. Nach ca. zwei Dritteln der Strecke musste ich die beiden Mädels ziehen lassen. Ich hatte auf Grund meines rebellierenden Magens zu wenig Energie aufgenommen. Dazu kamen die wiederkehrenden Magenschmerzen, die mir ein zügiges Vorankommen unmöglich machten.
Auf dem Weg über die Hochalm auf 1700 Metern zum Osterfelder auf 2025 Metern war ich schneckengleich unterwegs. Ich wollte das Rennen erfolgreich beenden. Mit all meiner Vorstellungskraft projizierte ich Bilder früherer Zieleinläufe vor mein inneres Auge. Endlich kam ich an den Einstieg des für uns letzten Downhills, die letzten 15 Kilometer galt es nun zu bezwingen. Anfangs noch vorsichtig, wurden meine Laufschritte in Richtung Tal immer sicherer und flüssiger.
Ich holte einige Läufer*nnen wieder ein und lief mit einer mir im Nachgang unerklärlichen Leichtigkeit in Richtung Ziel.
Nach 17 Stunden und 14 Minuten war ich wieder in Garmisch. Dort wurde ich als insgesamt 10. Frau und Dritte in der Master Women Wertung empfangen. Das war nach all den Auf und Abs für mich noch gar nicht fassbar. Was mich besonders freut, alle, Swea, Sofia, Stefan, Mark und Andreas konnten ihren Lauf erfolgreich und verletzungsfrei finishen. Sie waren alle schon am Ziel um mich zu empfangen und mit ihnen Tom, Tanja und Dirk.
Herzlichen Glückwunsch. Vielen lieben Dank an Tom, der sich spontan dazu entschloss mich an der Strecke zu supporten und mich mit Salzbrezeln und aufmunternden Worten unterstützt hatte. Es war ein sehr schönes und ereignisreiches Wochenende in Garmisch!